Arbeiterhütten im Tal der Könige

Im Tal der Könige finden sich nicht nur Spuren derjenigen, die dort begraben waren, sondern auch derjenigen, die deren Begräbnis ermöglichten: der Arbeiter, Handwerker oder Künstler, welche die Gräber ausgehauen und dekoriert hatten. Die Kenntnis ihrer Spuren im Tal der Könige war bisher gering und entsprechend wenig beachtet - diese Spuren lagen sozusagen im Schatten von Deir el-Medine (Abb. 1), dem Dorf südöstlich des Tals der Könige, wo die genannten Handwerker mit ihren Familien wohnten.

Mit unserer Ausgrabung der Umgebung von KV 47 (Siptah) und KV 18 (Ramses X.) hat sich der Wissensstand über die Präsenz der Arbeiter im Tal der Könige selbst erheblich vergrössert.

Zum einen gab es «Baubaracken» in unmittelbarer Nähe der in Arbeit befindlichen Gräber. Zu diesem Typ gehören die bisher bekannten Überreste in der Nähe der Verzweigung der Wege zu KV 47 (Siptah) einerseits und zu KV 32 (Tiaa) und 34 (Thutmosis III.) andererseits sowie die von unserer Mission neu entdeckten Strukturen gegenüber dem Eingang des Grabes Siptahs (KV 47). Die Auswertung dieser Befunde samt Ostraka und Kleinfunden steht noch aus.

Zum anderen fand sich in der Umgebung des Grabes Ramses' X. (KV 18) eine Ansammlung von Arbeiterhütten, die über den Typ «Baubaracken» weit hinausgehen, da es sich um eine Ansammlung von über fünfundzwanzig kohärenten Räumen handelt, und schon eher einer Mini-Siedlung à la Deir el-Medine gleichen. Man darf wohl sagen, dass dieser Fund sensationell ist. Von dieser Ansammlung von Arbeiterhütten südöstlich von KV 18 ist im folgenden die Rede.

Abb. 1: Die Lage von Deir e-Medine

Abb. 1: Die Lage von Deir e-Medine

Abb. 2: Hütten in der Nähe von KV 18

Abb. 2: Hütten in der Nähe von KV 18

Abb. 3: Ausgrabung der Arbeiterhütten

Abb. 3: Ausgrabung der Arbeiterhütten

Die Arbeiterhütten in der Nähe von KV 18

Nachdem die Arbeit im Grab Ramses' X. abgeschlossen war, wurde die Grabung in der Umgebung dieses Grabes KV 18 fortgesetzt. Die heutige Grabungspolitik ist zurecht die, wonach sich Untersuchungen nicht auf die Gräber und den umittelbaren Eingangsbereich beschränken sollen. Seit der Zeit der Anlage der Gräber und bis in die heutige Zeit ist im Tal der Könige viel Material bewegt worden: antikes Aushubmaterial wie auch Schutt, der von verschiedenen Ausgräbern mal hierhin, mal dorthin bewegt wurde. Das gesamte Gebiet des Tals der Könige lag ursprünglich um einiges tiefer, und die Landschaft böte einen etwas anderen Eindruck, würde man diesen «Abfallschutt» konsequent entfernen. Das Areal wurde also bis auf den anstehenden Fels abgegraben und das durchsuchte Material auf dem Anhänger eines Traktors aus dem Tal hinausbefördert.
Während der Kampagne 2000/2001 wurden in dem kleinen Wadi (Wüstental), das sich östlich von KV 18 (Ramses X.) und KV 54 (der sogenannten embalming cache Tutanchamuns) nach Süden erstreckt, eine Ansammlung von Räumen entdeckt. Arbeiterhütten im Tal der Könige sind zwar nicht neu - man hat auch an anderen Stellen Überreste gefunden -, aber neu ist das Ausmass und die Situationskohärenz. 

Ein sensationeller Fund – unerwartet, aufschlussreich. Die neu entdeckten Spuren von Handwerkern im Tal der Könige mit zahlreichen Funden, die auf vielfältige Tätigkeiten hinweisen, tragen dazu bei, einen weiteren Einblick in den Alltag der Arbeiter und in die Administration im Zusammenhang mit der Errichtung von Königsgräbern zu vermitteln.

Team MISR

Beschreibung

Direkt zu den Funden.

Die Siedlung besteht heute aus drei isolierten Gruppen von Hütten. Die erste davon liegt ganz im Süden des kleinen Wadis, das sich östlich des Grabes Ramses' X. befindet. Entlang der östlichen Flanke des Wadis erstrecken sich die Hütten dieser Gruppe weit nach Norden. Die Rückwände dieser Räume sind aus dem anstehenden Felsen herausgearbeitet worden. Eine zweite Gruppe von drei Hütten liegt nordwestlich der ersten Gruppe, direkt an der gegenüberliegenden Flanke des hier weniger steil abfallenden Geländes, und die dritte Gruppe befindet sich noch etwas weiter im Norden direkt über dem Grab Ramses X., das zur Zeit der Errichtung der Hütten noch nicht bestanden hatte. Ursprünglich gehörten all diese Hütten zu einer einzigen zusammenhängenden Siedlung, die das gesamte Wadi östlich des Grabes Ramses X. umfasst hatte und auch die freie Fläche zwischen den Hütten im Osten und Westen des Wadis einnahm. Heute befindet sich in dieser Fläche nur noch der Schutt von früheren Ausgrabungen. Insgesamt sind von der Siedlung noch 25 Räume erhalten, von weiteren zehn konnten noch Reste festgestellt werden, und die Existenz von mindestens 14 weiteren Hütten lässt sich aus den Angaben zu bereits publizierten hieratischen Ostraka erschliessen, die aus diesem Gebiet stammen. Diese Ostraka wurden 1907/08 durch Edward Ayrton für Theodore M. Davis ausgegraben. Stellt man sich die heutige Schuttfläche ebenfalls bebaut vor, so darf von einer Siedlung mit mindestens 60-80 Hütten ausgegangen werden.Die einzelnen Räume sind meist relativ klein. Sie messen ca. 2 m x 2 - 2,5 m. Die Mauern sind aus unbearbeiteten Steinen als Trockensteinmauern errichtet und von einer Steinlage bis hin zu einer Höhe von 60 cm und selten auch noch etwas höher erhalten. Von Dächern oder Abdeckungen der Räume haben sich keine Reste erhalten. Man darf sich dafür Palmwedel oder über dickere Äste gelegte Strohmatten vorstellen, die mit Steinen beschwert wurden. Die Böden bestehen aus einem kompakten Gemisch aus Sand und feinen Kalksteinbruchstücken, manchmal mit Zusätzen von Asche oder Nilschlamm. In einigen Räumen konnten Feuerstellen nachgewiesen werden.

Die Funde aus den Räumen bestehen aus hieroglyphischen, hieratischen und Bild-Ostraka, aus Keramik, mehrheitlich Tellern und markant weniger geschlossenen Formen und in zwei Fällen aus grösseren in den Boden eingegrabenen Gefässen, aus Gussmodeln und einigen anderen Objekten. Fischknochen geben abgesehen von der Lieferung von Getreide einen beschränkten Einblick in die von den Arbeitern konsumierte Nahrung.

Zahlreiche, in verschiedenen Räumen gefundene Objekte ermöglichen eine Datierung der erhaltenen Hütten in die Regierungszeit Ramses' IV. Es sind dies zwei Ostraka mit der vollständigen Titulatur des Königs, ein Bildhauerübungsstück, das die Göttin Isis bei der Verehrung des Namens «Starker Stier» Ramses' IV., anch-em-maat, «Derjenige, der von der Maat lebt», zeigt sowie vor allem ein Ostrakon, das Arbeiter der rechten Seite der Mannschaft und das an sie ausgegebene Getreide auflistet. Die Abfolge der Namen entspricht bis auf zwei Abweichungen denen der Wachhabendenlisten aus dem zweiten Regierungsjahr Ramses' IV., wobei zusätzlich die Namen des Vorstehers der Mannschaft Nachemmut, seines Stellvertreters Amunchau, des Schreibers Amunnacht sowie weiterer Arbeiter, die nicht als Wachhabende tätig waren, genannt sind. Die Datierung der Hütten in die Zeit ab dem zweiten Regierungsjahr wird zusätzlich durch zahlreiche, auf Stelen genannte Personennamen von Arbeitern und ihren Söhnen sowie durch den in den Arbeiterhütten ausschliesslich belegten Thronnamen Ramses' IV. Heqa-Maat-Ra setep-en- Imen bestätigt, den er ab dem Ende seines ersten Regierungsjahres anstelle von Wsr-Maat-Ra stp.n Jmn angenommen hat. Die Hütten im hinteren Teil des Wadis scheinen am Ende der Regierungszeit Ramses' IV. oder wenig später bereits wieder aufgegeben worden zu sein, da in ihnen keine Funde aus der Zeit seiner Nachfolger gemacht wurden. Dies ergibt für diese Hütten eine Nutzungszeit von ca. 5-7 Jahren.
Die ausgedehnte Hüttensiedlung aus der Zeit Ramses' IV. führt zu einem neuen Erscheinungsbild des Tals des Könige: Die Landschaft wird nicht mehr nur durch Felsklippen und Abhänge geprägt, in denen Grabeingänge angelegt wurden, und durch an verschiedenen Orten deponierte Schutthügel, bestehend aus Gestein aus dem Innern der Gräber, sondern auch durch direkt aneinander gebaute Hütten, die eine ansehnliche Fläche bedeckten. Das Tal der Könige war nicht nur ein heiliger Ort, die letzte abgeschiedene Begräbnisstätte der Könige des Neuen Reiches, sondern auch ein Bauplatz und zugleich temporärer Wohnort der Arbeiter. Die Distanz zum Grab, die Grösse der Siedlung und die wenigen administrativen Texte mit einem Bezug zur Bautätigkeit am Grab Ramses' IV. machen deutlich, dass die Hütten als einfache Behausungen dienten, in denen die Arbeiter während der neuntägigen Arbeitswoche wohnten. Der zehnte Tag war arbeitsfrei.

Bereits in der ausgehenden 18. und dann in der 19. Dynastie lassen sich im Tal der Könige Arbeiterhütten nachweisen. Diese lagen jedoch im Gegensatz zu den Hütten aus der Zeit Ramses' IV. viel näher beim Königsgrab, an dem gerade gebaut wurde. Einem solchen Kontext entstammen u.a. die zahlreichen Ostraka vom Ende der 19. Dynastie aus der Nähe der Gräber Sethos' II. (KV 15), Tausrets (KV 14), Bays (KV 13) und Siptahs (KV 47). Die bekanntesten früheren Hütten befanden sich direkt über dem Grabeingang Tutanchamuns (KV 62). Die Funktion der Hütten aus der Zeit vor der 20. Dynastie - ob ebenfalls als temporäre Wohnräume oder bloss als einfache Unterstände und Magazine für Werkzeuge, Farben, Lampen etc. - lässt sich auf Grund fehlender Angaben zu den ursprünglichen Fundumständen nicht näher bestimmen.

Die grösste noch erhaltene Gruppe von Arbeiterhütten in Theben-West befindet sich auf halbem Weg am höchsten Punkt zwischen Deir el-Medine und dem Tal der Könige. Sie wird station du col oder auch station de repos genannt und umfasst 78 Hütten. Die ältesten, sicher datierbaren schriftlichen Zeugnisse aus diesen Hütten stammen aus der Regierungszeit Ramses' II. Sie wurden jedoch auch noch zur Zeit Ramses' IV., also gleichzeitig wie die Hütten unten im Tal der Könige, genutzt. Dies belegen Funde von denselben Personen der station de repos, wie zum Beispiel der fragmentarische Kalksteinsitz des Schreibers Amunnacht, Sohn des Ipuy, und eine Stele desselben Schreibers aus den Arbeiterhütten westlich des Grabes Ramses' X. Vor dem Hintergrund von beiderorts belegten Personen bleibt die Beziehung der station de repos zu den Hütten im Tal noch genauer zu untersuchen: Die station de repos selbst diente einerseits sicher als Kontrollposten, da der Zugang zum Tal der Könige nur den Arbeitern und wenigen hohen Beamten gestattet war, und andererseits als Unterkunft, wie dies zahlreiche Bettnischen und Nackenstützen plausibel machen. Die Hütten der station de repos waren im Gegensatz zu denen im Tal der Könige massiver gebaut, und die Wände waren innen sogar teilweise verputzt. Dieser qualitative Unterschied der Bauweise dürfte auf die Lage in einem dem Wind ausgesetzten Sattel und wohl auch auf die längere Belegungszeit zurückzuführen sein.

Auch in den Hütten aus der Zeit Ramses' IV. im Tal der Könige wurde eine Nackenstütze in situ gefunden, welche die Nutzung der Hütten als Schlafgelegenheiten unterstreicht. Weiter sind mehrere in unterschiedlichen Räumen gefundene «Stelen» erwähnenswert, die wie bei der station de repos eine Identifikation der Bewohner einzelner Räume erlauben. Auf einer dieser «Stelen» ist der Adorant Pentaweret vor der schlangengestaltigen Göttin Meresger zu sehen, die als Schutzpatronin der Arbeiter von Deir el-Medine grosse Verehrung genoss. Dank der Nennung des Sohnes Nebnefer hinter dem Rücken Pentawerets lässt er sich zweifelsfrei mit einem auch aus anderen Dokumenten bekannten Arbeiter identifizieren. Pentaweret ist während der Regierungszeit Ramses' IV. und möglicherweise auch in der seines Nachfolgers, Ramses' V., belegt.

Die «Stelen» sind Ausdruck der persönlichen Frömmigkeit der Arbeiter. Sie bezeugen das Bedürfnis, nicht nur zu Hause oder in einem Heiligtum in der Nähe von Deir el-Medine sondern zu jeder Zeit mit einer vom Beter besonders verehrten Gottheit direkt in Kontakt treten zu können. Die gemeinsame Herkunft von Stelen, wenigen administrativen Texten und Bildostraka mit ganz unterschiedlichen, jedoch nicht religiösen Motiven aus den einzelnen Räumen schliesst die Identifikation der Räume als kleine Kapellen aus. Diese Fundumstände und vor allem die fehlenden Weihinschriften oder Gelübde machen deutlich, dass es sich bei den «Stelen» nicht um Votive handelt, die später in ein Heiligtum gestiftet werden sollten, sondern um Objekte des privaten Besitzes, die zur Ausstattung eines Wohnraums gehören.

Neben Objekten, die die Verankerung der Religion im Alltagsleben verdeutlichen, stammen aus den Hütten und den alten Schutthügeln auch literarische Texte wie Abschriften der Lehre Amunnachts, von Papyrus Lansing und von dem satirischen Brief des Hori (Papyrus Anastasi I). All diese literarischen Texte im engeren Sinne wie auch die meisten Musterbriefe, die zu literarischen Texten im weiteren Sinne gezählt werden können, sind auf Grund ihrer Handschrift und der Schreibfehler eindeutig als Texte von Schreiberschülern zu identifizieren. Abschriften von denselben Texten bzw. sogar direkt anpassende Fragmente wurden bereits während den Ausgrabungen von T. M. Davis 1907/08 gefunden. Diese Texte machen deutlich, dass neben der Arbeit Schreiberlehrlinge ausgebildet wurden bzw. dass junge Schreiber Unterrichtspensa niederschrieben und sich im Briefformular übten. Auffällig ist, dass all diese Texte auf Neuägyptisch abgefasst sind. Diese datierte Gruppe von literarischen Ostraka gibt - unter Vorbehalt des speziellen Fundortes Baustelle / Siedlung im Tal der Könige - einen Hinweis darauf, dass in der Schreiberausbildung in der Mitte der 20. Dynastie hauptsächlich neuägyptische Texte verwendet wurden und die klassischen mittelägyptischen Texte in der Schreiberausbildung weniger berücksichtigt wurden. Dieser Befund widerspiegelt auf einfache Weise die sprachlichen Realitäten der Zeit: Sowohl die geschriebene wie auch die gesprochene Sprache war Neuägyptisch.

Die Bildostraka aus den Arbeiterhütten dürften durch Maler oder auch durch einfache Arbeiter in ihrer Freizeit hergestellt worden sein analog zum Schreiben von Texten durch Schreibkundige bzw. Schüler. Bei zahlreichen Bildthemen wie auch bei einigen Texten fällt auf, dass sie inhaltlich keinen Bezug zum Tal der Könige oder zum Königsgrab aufweisen. Wäre bei diesen Objekten der Fundort «Tal der Könige» nicht bekannt, so würde man für manch ein Ostrakon mit Sicherheit Deir el-Medine als Herkunftsort annehmen.

Foto

Ein Highlight – heute im Museum der Stadt Luxor

Ostrakon mit einer Skizze von Handwerkern bei der Errichtung eines Königsgrabes

Auf der Querachse ist rechts die Treppe mit Rampe gezeigt, die zum Grabeingang führt. Darauf folgt die umgeklappt gezeichnete Tür, und dahinter sitzen auf einem langen Gerüst (genau wie es ägyptische Arbeiter noch heute benutzen!) zwei Arbeiter beim Meisseln an der Wand des Korridors. Darunter sind vier Arbeiter zu sehen, die in Körben Schutt wegtragen, ebenso wie die nur schwach erkennbaren Figuren ausserhalb des Grabes (unten). 

Publikationen zu diesem Thema

• Debora Cilli, Die Ostraka der späten 19. Dynastie aus dem Gelände des Grabes Pharaos Siptah (KV 47) im Tal der Könige, Dissertation, Basel 2013 (in italienischer Sprache).
• A. Dorn, Arbeiterhütten im Tal der Könige. Ein Beitrag zur altägyptischen Sozialgeschichte aufgrund von neuem Quellenmaterial aus der Mitte der 20. Dynastie (Aegyptiaca Helvetica [AH], Bd. 23), 3 Bände, 1 CD-ROM, Basel: Schwabe 2012.
• A. Dorn, Leben auf der Baustelle - Funde aus Arbeiterhütten im Tal der Könige lassen den Alltag pharaonischer Handwerker nachvollziehen, in: Antike Welt [AW], Bd. 38/1, 2007, 19-24.
• A. Dorn, Men at Work. Zwei Ostraka aus dem Tal der Könige mit nicht-kanonischen Darstellungen von Arbeitern, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Abteilung Kairo [MDAIK], Bd. 61, 2005, 1-11.