/ Forschung / Julia Jacob
Der Anfang vom Ende
Haben Klimawandel und Pandemien den Untergang des Römischen Reichs begünstigt? Forscher der Universität Basel sagen Ja.
Klimawandel, Pandemien und gesellschaftlicher Wandel: Das Themenpaket, das so zeitgemäß wirkt, ist womöglich ein alter Hut. Davon zumindest geht ein Forschungsteam der Universität Basel aus, das in einem vom Schweizer Nationalfonds mit rund einer Millionen Franken geförderten Projekt der Frage nachgeht, wieso das Römische Reich im dritten Jahrhundert in eine tiefe Krise stürzte.
Um es vorwegzunehmen: Ganz oben auf der Liste der Thesen steht der Klimawandel als Motor für den Umbruch. Das macht die Forschungsarbeit auch für die Gegenwart interessant. Das Interesse der Geschichtswissenschaft an der Klimaforschung ist relativ neu. Erst seit wenigen Jahren gehe die Tendenz dahin, auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse aus der Klimatologie in historische Studien der Antike einzubeziehen, sagt die Althistorikerin Sabine Huebner, die das Projekt leitet und seit 2014 den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Basel innehat. Die Klimaforschung hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht – auch weil das öffentliche Interesse rasant gestiegen ist. "Klimatologen fluten uns mittlerweile regelrecht mit Quellen zur griechisch-römischen Zeit", sagt Huebner. Insgesamt stellen die Klimatologen für das dritte Jahrhundert ein kälteres Klima und weniger Niederschläge im gesamten Mittelmeerraum fest.
Trotz guter Faktenlage bleibt die Spurensuche in der Antike ein diffiziles Unterfangen. Um möglichst in die Tiefe gehen zu können, will sich das interdisziplinäre Forschungsteam deshalb zunächst auf eine einzige Region konzentrieren, die römische Provinz Ägypten. Sie soll als eine Art Forschungslabor für die These dienen, dass Klimawandel, das Aufkommen von Pandemien und sozio-politische Umbrüche in Zusammenhang stehen. Zudem bietet Ägypten eine gute Faktenbasis: Allein aus dem dritten Jahrhundert nach Christus sind über 25 000 Papyri, Dokumente auf Papyrus, erhalten. Nicht alle seien jedoch für das Projekt relevant, versichert Huebner.
Dennoch verspricht das auf vier Jahre angelegte Projekt überaus umfangreich zu werden. Erarbeiten wollen die Forscher eine detaillierte Datenbasis, die Aufschluss gibt über schwankende Getreidepreise, Revolten, Hungersnöte, Reformen und die Entwicklung der Siedlungsstruktur. Insbesondere die ägyptische Getreideernte war auch für das restliche Römische Reich von Bedeutung: Sie diente der Ernährung des Militärs, das die Außengrenzen des Reiches verteidigte. Das ist der Part der Historiker.
Dendroklimatologen bestimmen klimatische Schwankungen anhand von Jahresringen auf hölzernen Artefakten, vorwiegend auf Mumientäfelchen – dem altägyptischen Pendant des heutigen Leichenzettels – die sich im Besitz der großen Antikensammlungen in Straßburg, Berlin, Paris und London befinden. Auch die gut dokumentierten Nilfluten lassen Rückschlüsse auf Dürreperioden und andere Wetterextreme zu.
Ein Teil der Forschungsarbeit wird sich mit der Ausbreitung von Pandemien beschäftigen. Der Ausbruch der Cyprianischen Pest ist auf die Jahre 250 bis 270 datiert. Bischof Cyprian beschrieb die Seuche, bei der es sich vermutlich nicht um die tatsächliche Pest gehandelt hat, in seinem Traktat "De Mortalitate", eindrücklich: "Die Augen brennen vom eingeschossenen Blut, manchmal nimmt die Vergiftung durch krankhafte Verwesung Arme und Beine." Als Ursprungsland der Pandemie, die sich im gesamten Römischen Reich, das zu dieser Zeit seine maximale Ausdehnung erfuhr und rund ein Viertel der Weltbevölkerung umfasste, wird Äthiopien vermutet.
Sabine Huebner verfolgt eine andere Theorie. Sie verortet den Ausbruch im Donaugebiet, wo die römische Armee seinerzeit gegen die Goten kämpfte, die von Osten her vordrangen – möglicherweise ebenfalls in Folge des Klimawandels. Erste Erwähnungen der Krankheit gehen aus einem Schlachtenbericht aus dem Jahr 251 hervor. In der Hochphase der Pandemie starben in Rom täglich 5000 Menschen. Auch die Justinianische Pest, die in den Jahren 541 bis 770 nach Christus wütete, überlagerte sich mit klimatischen Veränderungen: 536 brach die "kleine Eiszeit der Spätantike" an. Als Auslöser werden eine Reihe von Vulkanausbrüchen in jenem Jahr vermutet.
Mögliche Zusammenhänge zwischen dem Bruch, den das antike Weltreich im dritten Jahrhundert erfährt, und klimatologischen Veränderungen sind immer mit Vorsicht zu betrachten, betont Huebner. Doch folgte die Krise auf eine Zeit des ex-tremen Wohlstands, den gerade besonders günstige klimatische Bedingungen – die Forschung spricht vom römischen Klimaoptimum – ermöglichten. Festzuhalten bleibt, dass sich das römische Reich im dritten Jahrhundert mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert sah, die in einem Zusammenhang stehen: Niedrigere Agrarerträge bei hohen Heeresausgaben, Inflation, feindliche Invasionen, Epidemien, religiöser Wandel. Gleichzeitig steckte das Riesenreich in einer Legitimationskrise: Ein Kaiser folgte auf den nächsten, das Reich drohte zu zerfallen.
In der Welt der Wissenschaft gilt der ganzheitliche Ansatz, den das Projekt der Basler Forscher verfolgt, als bahnbrechend. Es sei dies der erste breit angelegte Versuch, den gesellschaftlichen Wandel des Römischen Reichs am Ende seiner Hochzeit aus der Perspektive des Klimawandels heraus zu betrachten, sagt Huebner. Dass sich die Forschungsarbeit zunächst auf die Geschehnisse in Ägypten beschränkt, soll den Blick aufs Ganze keinesfalls verstellen. Im Gegenteil. Die Methoden und Erkenntnisse aus dem Projekt sollen als Grundlage der Erforschung weiterer Regionen dienen. "Das ist erst der Anfang", ist sich die Projektleiterin sicher.