Philipp Gleich

Goldberg III
Polykulturelles Zusammenleben in Oberschwaben im frühen dritten Jahrtausend v. Chr.?

Ausgangslage und Problematik

Das frühe dritte Jahrtausend v. Chr. zeichnet sich durch die Ausbreitung von Rad und Wagen sowie die Entwicklung wirtschaftlich differenzierter Siedlungssysteme als Innovationshorizont in der mitteleuropäischen Jungsteinzeit aus. Als Kennzeichen dieser Epoche im Nordalpenraum gilt in der prähistorischen Forschung die Herausbildung zahlreicher regionaler „Kulturgruppen“ mit jeweils eigenständiger Sachkultur, insbesondere eigener Töpfereipraxis. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Gefäßkeramik selbst innerhalb einzelner Siedlungen und Regionen sehr heterogen und von „Einflüssen“ aus nah und fern durchsetzt ist. Die traditionelle archäologische Kulturgleichung „eine Siedlung = eine Töpfereitradition = ein Sozialverband = eine Kulturgruppe“ scheint selten aufzugehen.

Quellenmaterial und Zielsetzung

Diese Problematik zeigt sich beispielhaft an einer Reihe oberschwäbischer Feuchtbodensiedlungen, welche von der archäologischen Forschung der Kulturgruppe „Goldberg III“ zugewiesen wurden (SCHLICHTHERLE 1999). Das Quellenmaterial der Dissertation bilden die vielfältigen, gut datierten und größtenteils unveröffentlichten gefäßkeramischen Funde aus diesen Siedlungen sowie aus ausgewählten Vergleichssiedlungen aus Nachbarregionen. Im Rahmen der Analyse werden neue theoretische und methodische Grundlagen für das Verständnis der Wechselwirkung von technologischen und stilistischen Praktiken, sozialen Gruppen, Mobilität und Austausch im frühen dritten Jahrtausend v. Chr. nördlich der Alpen entwickelt.

Theorie, Methodik und Hypothesen

Dabei kommen Ansätze der Praxistheorie von Pierre BOURDIEU (1972) zur Anwendung. Nach dessen Vorstellungen wird der Rahmen menschlichen Handelns in der Praxis, also im körperlichen Vollzug, ausgehandelt. Die Keramikherstellung in Handarbeit bietet eine gut geeignete Praxis zur Sichtbarmachung derartiger Aushandlungsprozesse, da die Herstellung eines Gefäßes eine komplexe Abfolge technischer und stilistischer Entscheidungen erfordert und Lernprozesse abbildet.
Die Keramikgefäße werden mit einem „chaîne opératoire“-Ansatz untersucht, d. h. ihre Herstellung wird in einzelne Entscheidungsebenen zerlegt. Auf diese Weise können „Communities of Practice“ (WENGER 1998) herausgearbeitet werden, die sich durch ähnliche Entscheidungsabläufe auszeichnen.
Insgesamt werden folgende Hypothesen geprüft: Im frühen dritten Jahrtausend v. Chr. kam es in den oberschwäbischen Siedlungen der sogenannten „Goldberg-III-Gruppe“ zum Zusammenleben von Menschen, welche das Handwerk der Keramikherstellung in unterschiedlichen Gemeinschaften („Communities of Practice“) erlernt hatten. Dadurch unterscheiden sich die oberschwäbischen Siedlungen von zeitgleichen Siedlungen in der Ostschweiz und am Bodensee. Die unterschiedlich starke Pluralität der Töpfereipraktiken ist vor dem Hintergrund von Faktoren zu begreifen, welche sich auf Mobilität und Austausch der Akteure auswirken. Dazu gehören potentiell: verkehrsgeographische Lage der Siedlungen im Raum, Siedlungsdauer, wirtschaftliche Organisation und Abhängigkeit der Siedlungen.

Literatur:

P. BOURDIEU, Entwurf einer Theorie der Praxis (Sinzheim 42015 [frz. Original 1972]).
E. WENGER, Communities of practice: learning, meaning and identity (Cambridge 1998).
H. SCHLICHTHERLE, Die Goldberg-III-Gruppe in Oberschwaben. In: H. Schlichtherle/M. Strobel (Hg.), Aktuelles zu Horgen – Cham – Goldberg III – Schnurkeramik in Süddeutschland. Rundgespräch Hemmenhofen 26.06.1998. Hemmenhofener Skripte 1 (Freiburg i. Br. 1999) 35-48.

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