Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft der indogermanischen Sprachen oder Indogermanistik ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Sie ist erst ca. 200-jährig, und nicht älter ist ihre Methodik und die Entdeckung ihres Gegenstandes.
Dieser neue Gegenstand sind die sog. indogermanischen Sprachen, und zwar eben nicht nur in ihrer individuellen Existenz (in dieser Hinsicht waren viele von ihnen schon lange bekannt), sondern vor allem in ihrer Gesamtheit als Familie genetisch verwandter, historisch auf eine gemeinsame Grundsprache zurückgehender Sprachen.
Die Methodik beruht auf der Erkenntnis, dass sich Sprachen nicht einfach entwickeln (das war ebenfalls schon bekannt), sondern sich regelhaft entwickeln. Dies erlaubt es, Sprachen in ihre nicht bezeugte Vergangenheit hinein zu verfolgen, d.h. zu rekonstruieren, insbesondere durch historischen Sprachvergleich innerhalb einer Sprachfamilie.
Das Studienfach "Vergleichende indogermanische Sprachwissenschaft" wurde in Basel 1983 aufgehoben und kann seither nicht mehr als eigenes Fach studiert werden.
Sein Unterrichtsschwerpunkt liegt seither im Bereich des Griechischen und des Lateins, regelmässig werden aber trotzdem einerseits andere indogermanische Sprachen, z.B. Sanskrit, Hethitisch, Gotisch, andererseits die nachantike Sprachgeschichte Europas in den Blick genommen.
Der genaueste Name der Disziplin im Deutschen ist 'Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft der indogermanischen Sprachen' (Französisch: Grammaire comparée des langues indo-européennes. Englisch: Comparative Philology. Amerikanisch: Indo-European Studies). Das impliziert einerseits, dass auch in anderen Sprachfamilien historisch-vergleichende Sprachwissenschaft betrieben werden kann; andererseits, dass die indogermanischen Sprachen auch anders als unter der historisch-vergleichenden Optik sprachwissenschaftlich betrachtet werden können.
Die Indogermanistik hat, was die erste Implikation betrifft, ein paar Vorteile, die sie zur wichtigsten historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft machen:
Was die zweite Implikation betrifft, ist freilich der Zeitgeist Disziplinen wie der Indogermanistik nicht sehr gewogen: Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich zur Zeit vorwiegend mit Sprachzuständen und Sprachanwendungen, nicht mit Sprachentwicklung. Dies wiederspiegelt eine generelle Tendenz in den Geisteswissenschaften: Die Beschäftigung mit Themen, in denen historische Folgen oder Kausalitäten eine Rolle spielen, ist etwas aus der Mode gekommen (eine Ausnahme machen Gegenstände mit unmittelbaren – vor allem juristischen, wirtschaftlichen, sozialen oder politischen – Auswirkungen auf die Gegenwart). Im Schwange stehen dagegen Fragen, die mittels Querschnittdarstellungen des Gegenstandes zu einer bestimmten Zeit und mit Erklärungen 'aus sich selbst heraus' gelöst werden können; diese Betrachtungsweise wird mittlerweilen nicht nur auf Themen der Gegenwart, sondern auch auf solche der Vergangenheit angewandt. Für die historische Sprachwissenschaft ist Chronologie dagegen das A und Ω.
Insgesamt hat die Indogermanistik allerdings keinen Grund zur Verzweiflung:
Angesichts dieser Vielfalt ihrer Aufgaben wird der Indogermanistik auch in Zukunft niemand mit überzeugenden Argumenten ihre Daseinsberechtigung absprechen können. Es wird aber – wie auch in den anderen historischen Wissenschaften – in nächster Zeit ein gerüttelt Mass an Durchhaltekraft und Überzeugungsarbeit brauchen, um unserer gegenwärtigen Gesellschaft den Nutzen der Wissenschaften, die ihr ihre kulturellen Quellen aufarbeiten und vermitteln, wieder klar zu machen und klar zu halten.
(Zusätzliche Information zu diesen Fragen finden sich im Text "Orchidee Indogermanistik")
Die Indogermanistik beschäftigt sich grundsätzlich mit allen Aspekten der von ihr untersuchten Sprachen. Allerdings folgt aus der Tatsache, dass viele der von ihr untersuchten Sprachzustände heute ausgestorben sind, dass gewisse Aspekte mangels Zeugnissen nicht mehr erforscht werden können. Beispielsweise ist es nicht möglich, Dialektgeographie des Gotischen zu betreiben, das Hethitische mittels moderner phonetischer Geräte zu beschreiben oder das Vedische Sanskrit nach Kriterien der Soziolinguistik zu analysieren. Auch die Anwendung der generativen Grammatik ist bei den meisten für die Indogermanistik wichtigen Sprachen von beschränktem Interesse.
Die wichtigsten Teilgebiete der Indogermanistik sind:
Folgende Hauptgruppen sind zu unterscheiden:
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