/ Forschung / Christoph Müller

Klima macht Geschichte

Tamora

Erst bricht der Vulkan aus, dann die Revolution – bei vielen historischen Ereignissen spielte das Klima eine Rolle

Kann das ein Zufall sein? Wissenschaftler haben den Zusammenbruch von 68 chinesischen Königs- und Kaiserdynastien untersucht. In 62 davon gingen dem Kollaps ein oder mehrere Vulkanausbrüche voraus. Die Vulkane schleuderten Asche und Schwefel in die hohen Schichten der Atmosphäre und dimmten so das Sonnenlicht für die folgenden ein, zwei Jahre. In China wurde es kälter und die Niederschläge nahmen ab – mit oft dramatischen Folgen: „Da eine hochentwickelte Landwirtschaft für die Erhaltung der bevölkerungsreichen chinesischen Dynastien von entscheidender Bedeutung war, hatten abrupte klimatische Veränderungen und Wetterextreme das Potenzial, ihr politisches, wirtschaftliches und demografisches Funktionieren zu stören und den Zusammenbruch zu fördern“, schreiben die Forscher um Chaochao Gao von der Zheijiang Universität im Wissenschaftsmagazin Nature.

Die Herrscher hatten es aber nicht nur mit einer Naturkatastrophe zu tun, die die wirtschaftliche Grundlage ihrer Regentschaft destabilisierte. Sie verloren auch einen Teil ihrer Legitimation: das „Man- dat des Himmels“. Wegen der Partikel in der Atmosphäre verfärbte sich der Himmel, Sonnenuntergänge wurden spektakulärer. Rivalen konnten dies als Omen deuten und behaupten, der Herrscher habe das Wohlwollen der Götter verloren.

Allein auf den Einfluss von Vulkanen dürfe man die vielen Zusammenbrüche chinesischer Dynastien aber nicht zurückführen, meinen die Autoren der Studie und warnen vor „monokausalen oder umweltdeterministischen Erklärungen“. Reiner Zufall ist es aber wohl auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass in so vielen Fällen dem Kollaps zufällig eine Eruption vorausging, liegt bei weniger als eins zu 2000 und die For- scher kommen zum Schluss: „Vulkanisch bedingte Klimaschocks sollten nun einen prominenten Platz unter den Faktoren einnehmen, denen häufig eine Rolle bei solchen Ereignissen beigemessen wird.“

Und genau das tut eine neue, interdisziplinäre Fachrichtung: die historische Klimatologie. „Das Neue an der historischen Klimatologie ist, dass sie mit historischen Quellen und Klimadaten das Klima für antike oder mittelalterliche Gesellschaften rekonstruiert und gleichzeitig etwas über die Effekte der Klimaveränderungen auf menschliche Gesellschaften sagen möchte“, sagt die Althistorikerin Sabine Huebner, die an der Universität Basel das „Basel Climate Science and Ancient History Lab“ leitet.

Neu ist auch die enge Zusammenarbeit von Historikern und Naturwissenschaftlern. Diese beruht nicht zuletzt auf den enormen Fortschritten bei der Erforschung des Klimas der Vergangenheit. „Als Histori- ker arbeiten wir mit Jahren und jetzt haben die Paläoklimatologen das gleiche Präzisionsniveau erreicht, was die Zusammenarbeit ermöglicht.“ Auch beim Vorgehen sieht Huebner Parallelen: „Die Art und Weise wie Paläoklimatologen arbeiten, ist der eines Historikers ähnlich. Ihre Daten haben auch die gleichen Probleme wie unsere. Sie leiden genauso unter Ungenauigkeiten hinsichtlich Datierung, Herkunft und Interpretation.“ Angesichts des Potentials der historischen Klimatologie herrscht bei vielen Wissenschaftlern Goldgräberstimmung. Joseph Manning von der US-Universität Yale schreibt: „Vor uns liegt die Möglichkeit, fast die gesamte menschliche Geschichte neu zu schreiben. Die Geschichte wird nie wieder allein auf geschriebenen Texten beruhen.“

Ein Beispiel dafür ist eine Studie Mannings, in der er zeigt, dass nach dem Ausbruch des Okmok in Alaska im Jahr 43 vor Christus die Temperatur in Italien um drei bis sieben Grad niedriger war als sonst. Die Folge waren Hungersnöte, die zum Untergang zweier Supermächte beitrugen: Die Römische Republik wich dem römischen Kaiserreich und das Königreich der Ptolemäer endete mit Kleopatra.

Angesichts derartiger Erkenntnisse kommt der Historiker John McNeill von der US-Universität Georgetown regelrecht ins Schwärmen: Die Möglichkeiten des historisch-klimatologischen Ansatzes seien „potenziell revolutionär, und wie viele Revolutionen voller Gefahren, aber auch voller Versprechen“. Eines dieser Versprechen ist die Chance, aus der Geschichte für den Umgang mit dem heutigen Klimawandel zu lernen. „Man sieht, wie widerstands- und anpassungsfähig antike Gesellschaften waren – und manche waren halt besser aufgestellt als andere. Das lässt sich auf heute übertragen“, sagt Huebner. Daher sei es „wichtig, früh mit der Entwicklung von Anpassungsstrategien zu beginnen“.

Für den Paläoklimatologen Dominik Fleitmann von der Universität Basel müssen wir dabei insbesondere auf die Komplexität unserer Gesellschaften achten: „Je komplexer das System ist, umso langsamer reagiert es und umso anfälliger ist es. Komplexität ist wunderbar, so lange es keine Störung gibt, aber komplexe Systeme haben die Tendenz zu kollabieren.“

Im Gegensatz zu früheren Gesellschaften, für die das Klima gottgegeben war, hat die Menschheit heute eine weitere Option: Sie kann versuchen, die Erwärmung zu stoppen. Angesichts der dramatischen Folgen klimatischer Veränderungen in der Vergangenheit ist das vielleicht keine schlechte Idee.

„Oft auf den Monat genau“

BZ-INTERVIEW mit dem Geologen Dominik Fleitmann darüber, wie man Vulkanausbrüche aus der Vergangenheit datiert

Wie liest man ein Klimaarchiv, das Millionen Jahre zurückreicht? Das fragte Christoph Müller den Geologen und Paläoklimatologen Dominik Fleitmann.

BZ: Wie kommt man einem Vulkanaus- bruch vor Hunderten Jahren auf die Spur?

Fleitmann: Vulkane schleudern Asche und Gase in die Atmosphäre, die sich um die ganze Welt verteilen und einen Teil des Sonnenlichts ins All zurückreflektieren. Deshalb ist es im Jahr nach einer großen Eruption kühler. Die Asche fällt aber nach zwölf bis 18 Monaten wieder zur Erde und lagert sich unter anderem am Südpol und in Grönland auf dem Schnee ab. Wenn man Eisbohrkerne von dort untersucht, kann man die Asche- oder Schwefelpartikel in den Kernen nachweisen.

BZ: Wie kann man eine Ascheablagerung an einer bestimmten Stelle eines Eisbohr- kerns einem bestimmten Jahr zuordnen?

Fleitmann: Es schneit ja meist in einer bestimmten Jahreszeit viel. Daher kann man an den Bohrkernen Jahresschichten erkennen und zählen. An einigen Bohrkernen aus Grönland kann man so bis zu 40 000 Jahre in die Vergangenheit blicken. Aber es gibt natürlich Zählfehler, die sich aufsummieren, je weiter man in der Zeit zurückgeht.

BZ: Welche anderen Methoden gibt es zur Datierung von Vulkanausbrüchen?

Fleitmann: Wenn man Sedimente aus Seen oder dem Meer analysiert, kann man ebenfalls Ascheablagerungen erkennen, insbesondere wenn der Ausbruch in der Nähe stattgefunden hat. Und auch in Tropfsteinen kann man Schwefel-, Arsen- oder Bromablagerungen nachweisen. Hier haben wir „Klimaarchive“, die bis zu fünf Millionen Jahre zurückreichen.

BZ: Wie genau ist die Datierung?

Fleitmann: Kein Archiv ist perfekt, aber durch die Kombination von historischen Dokumenten, Bohrkernen, Sedimenten, Tropfsteinen und Baumringen kann man viel erfahren: Wir können mittlerweile oft auf den Monat genau sagen, wann eine Eruption stattfand. Wir wissen oft auch, wo etwa der Vulkan gewesen sein muss. Zum Teil kann man auch erkennen, wie die Winde zu dieser Zeit waren. Das hat ebenfalls eine Auswirkung darauf, wie stark sich eine Eruption auswirkt.

BZ: Wie kann man die Folgen des Ausbruchs auf die Temperatur und die Niederschläge ermitteln?

Fleitmann: An Baumringen, Seesedimenten und Tropfsteinen kann man sehr gut erkennen, wie viel es in einem bestimmten Jahr geregnet hat. Außerdem kann man die Temperatur abschätzen.

BZ: Und dann kommen die Historiker ins Spiel?

Fleitmann: Genau. Wir müssen weg davon zu sagen: Da gab es einen Vulkanausbruch und dann ist in China eine Dynastie kollabiert. Man muss ja zeigen, welchen Einfluss das auf die Ernten hatte, wie das Reich vorbereitet war, wie der Kaiser reagiert hat. Dann beginnt man, die komplexen Wechselwirkungen von Klima und Gesellschaften zu verstehen, und kann erklären, wie es etwa zum Zusammenbruch eines Reiches gekommen ist. Eine Vulkaneruption kann auch noch Jahrzehnte nachwirken. Das ist wie ein Stein, der etwas ins Rollen bringt.